Die Schwabensiedlung in Südpreußen, Polen

Die Ansiedlung deutscher Bauern in Polen war nicht neu. Schon vor der Teilung Polens 1793 hatten sich amtliche Stellen und private Großgrundbesitzer um die Heranziehung deutscher Kolonisten bemüht, um auf diese Weise eine Hebung der Bodenkultur zu erreichen.
Es war das Ziel Preußens, die riesigen Wald– und Sumpfgebiete durch die Schaffung von Siedlungen zumindest in einem gewissen Umfang urbar zu machen. Ein Plan Friedrich Wilhelm III, die dem Staat zugefallenen großen Landgüter in Bauerngüter aufzuteilen, scheiterte am Widerstand seiner Berater. Man wählte durch Pionierarbeit die Schaffung neuen Ackerbodens durch Rodung von Waldgebieten und Trockenlegung von nassen Landstrichen. Hier eröffnete sich für die preußischen Kolonisatoren ein großes Betätigungsfeld.

 


Mit einigen, aus eigenem Antrieb Gekommenen und von der Regierung in Berlin im Jahre 1798 nach Südpreußen dirigierten Kolonisten aus Baden und Württemberg, begann die eigentliche Kolonisierung. In den süddeutschen Reichsländern, die damals links des Rheins von Frankreich besetzt waren, wurde eine große Werbeaktion eingeleitet. Ein großer Auswanderungsstrom ergoss sich jetzt nach Südpreußen. Um den Erfolg der Aktion zu sichern, wurde von der Regierung ein weitreichender und kostspieliger Plan ausgearbeitet. Diesem Plan zufolge wurde den Einwanderern aus den Reichsländern folgende Vergünstigungen bewilligt: Reisegelder von zwei Groschen für jede Person und Meile, Rodungsgelder für diejenigen, die Waldland zugewiesen bekamen, Zehrgeld von zwei Groschen täglich für jede Person bis zu der Zeit, da sie von der eigenen Wirtschaft leben konnten, drei bis sechs Freijahre von jeder Steuer, Befreiung vom Soldatendienst. Ferner sollten die Kolonisten auf Regierungskosten die Wohn– und Wirtschaftsgebäude, sowie Brunnen errichten und außerdem die Wirtschaftsgeräte, Saatgetreide und auch das Vieh, je nach Größe der Wirtschaft geliefert erhalten.
Nachdem die ersten Einwanderungsgruppen aus Schwaben nach den in Aussicht gestellten Bedingungen untergebracht waren, wurden die Ansetzungsbedingungen Mitte 1801 geändert. Die Siedler wurden jetzt nach der Höhe des mitgebrachten Vermögens in Klassen eingeteilt: Die erste Klasse bildeten die Häusler oder Büttner, die nur drei bis vier Morgen Land zugewiesen erhalten sollten. Siedler zweiter Klasse erhielten eine Wirtschaft von einer Hufe (eine Huf = 30 Morgen). Die Siedler der dritten Klasse wurden mit zwei Hufen bedacht und Siedler der vierten Klasse und fünften Klasse bekamen drei bzw. vier Hufen. Die Enttäuschung, der von neuen Siedlungsbedingungen zumeist nicht unterrichten Siedler war groß, um so mehr als auch vielfach die notwendigen Vorbereitungen für die Aufnahme der Kolonisten unterblieben waren. Überdies war den Schwaben die schwere Rodungsarbeit zumeist unbekannt. Auch hatten viele gehofft Ackerland zu erhalten, da in den Werbeschriften die Möglichkeit der Zuteilung von Waldland nur ganz beiläufig und versteckt angekündigt worden war.
Nach dem Zusammenbruch Preußens errichtete Napoleon das Herzogtum Warschau, was für alle Siedler eine große Enttäuschung war. Die Jahre seines Bestehens bedeuteten für die Dorfgemeinschaft, die sich doch erst im Aufbaustadium befand, eine harte Bewährungsprobe. Anstelle der preußischen Regierung, die sich – trotz mancher Härten – den Siedlern gegenüber fürsorglich gezeigt hatte, übernahm die polnische Regierung des Herzogtums die Verwaltung. Diese musste sich vordringlich darum kümmern einen Staatsapparat aufzubauen und ein Heer aufzustellen, um den militärischen Plänen Napoleons entgegenzukommen. Da aber die Freijahre bei den meisten Kolonisten noch nicht abgelaufen waren, kamen sie den Zahlungsaufforderungen nicht nach.
Der napoleonische Feldzug nach Rußland 1812 mit all seinen Kriegswirren rief bei den Siedlern Ratlosigkeit und Unsicherheit hervor. Für die neugeschaffenen deutschen Kolonien waren aus der kriegerischen Zeit der letzten Jahre verschiedene Fragen ungeregelt geblieben so die rückständigen Erbzinsen, da die Freijahre inzwischen abgelaufen waren, aber auch eine volle Bewirtschaftung der Siedlungsstellen, die in den Kriegsjahren nicht möglich war. Diese Ungewissheit und wohl auch die Rodung des Waldes und die mit der Einrichtung der Wirtschaft verbundenen Schwierigkeiten gingen über die Kraft mancher Siedler. Auch die Warschauer Verwaltung setzte alles daran, den deutschen Kolonien ihre Eigenständigkeit und Identität zu nehmen.
Die großzügigen und verlockenden Versprechungen, von Zar Alexander I. sich in Bessarabien anzusiedeln bewirkte, dass 138 Familien aus Grömbach und Neu-Sulzfeld 1815 ihre kaum erworbene Heimat in Polen verließen. Unter der Führung des Kolonisten Bernd Bohnet machten sie sich unter ärmlichen Umständen auf den Weg, um ein Ende ihrer Leiden und Enttäuschung herbeizuführen. Es mag im Frühjahr 1815 gewesen sein, als der Zug mit Fuhrwerken, Handwagen, alle mit dem notwendigsten Hausrat beladen, nach Bessarabien loszog.